Der Dokumentarfilm „Anja Niedringhaus – Die Fotografin und der Krieg“ feierte auf dem Filmfestival Cologne Premiere und wird Anfang 2026 im TV zu sehen sein: Ein filmischer Befund über Mut, Haltung und die blinden Flecken westlicher Kriegsführung.

Red carpet auf dem Festival (v.l.n.r.): Jutta Steinhoff (dpa, Journalistin und Freundin von Anja Niedringhaus), Gide Niedringhaus (Schwester von Anja Niedringhaus), Moritz Kerst (Ton), Birgit Schulz (Produzentin), Yury Winterberg (Buch), Sonya Winterberg (Regie), Monika Mack (Producerin)
Die Dokumentation „Anja Niedringhaus – Die Fotografin und der Krieg“ erzählt die Geschichte einer Bildjournalistin, deren Fotografien ein Vierteljahrhundert lang die Titelseiten prägten – und deren Tod 2014 in Afghanistan bis heute Fragen aufwirft. Regisseurin Sonya Winterberg nähert sich ihrer Protagonistin nicht über Pathos, sondern über präzise Rekonstruktion, Interviews und eine kriminalistische Spurensuche, die den offiziellen Erklärungen widerspricht. Der Film verknüpft Biografie, Arbeitsweise und medienhistorische Einordnung mit einer kritischen Betrachtung der politischen Hintergründe – und formuliert damit weit mehr als ein Porträt: Er ist ein Kommentar zur Verantwortung von Militär, Politik und Medien im Krieg.
Als Fotografin der European Pressphoto Agency (EPA) und später der Associated Press (AP) setzte sich Niedringhaus in einem von Männern dominierten Metier durch. Den Etikettenschwindel „Kriegsfotografin“ lehnte sie ab; ihr Fokus galt den Menschen, ihren Verwundungen, Routinen und Momenten von Würde – selbst im größten Chaos. Für diese Haltung und Bildsprache wurde sie mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnet. Der Film macht deutlich, wie sehr Niedringhaus’ Arbeit den Blick auf Konflikte verschoben hat: weg von der bloßen Frontberichterstattung, hin zu einer Bildethik, die Nähe sucht, ohne Voyeurismus zu bedienen.
Besonders nachdrücklich ist die Auseinandersetzung mit den Umständen ihrer Ermordung. Während Ermittler im Westen wie im Einsatzland die Tat rasch als spontane Aktion eines islamistischen Einzeltäters zu den Akten legten, widerspricht die Produktion diesem Narrativ – mit neuen Hinweisen, die politische und personelle Verstrickungen sichtbar machen. Diese zweite Ebene hebt den Film über eine klassische Künstlerbiografie hinaus: Er wird zur forensischen Untersuchung über Verantwortlichkeiten in Kriegsgebieten und zu einer Fallstudie dafür, wie schnell komplexe Vorgänge in einfache Erzählungen gepresst werden.
- Französische und ukrainische UN-Soldaten, die am 21.7.1994 im Westteil der bosnischen Hauptstadt Sarajevo von serbischen Streitkräften mit Maschinengewehrsalven beschossen werden, rennen in Deckung. |
- Ein Foto vom 21. November 1994 zeigt einen französischen UN-Soldaten und eine Frau, die einem von einer Scharfschützenkugel getroffenen bosnischen Soldaten auf Sarajevos sogenannter „Sniper Avenue“ Erste Hilfe leisten. Der bosnische Soldat starb Sekunden später. Zehn Jahre nach der Erklärung der Unabhängigkeit Bosniens von Ex-Jugoslawien, die den brutalen Krieg von 1992 bis 1995 auslöste, weil die von Belgrad unterstützten bosnischen Serben nicht von der serbisch dominierten Föderation abgeschnitten werden wollten, ist das Land weiterhin entlang ethnischer Linien geteilt und steht faktisch unter internationaler Aufsicht. Am 1. März 2002 feiert Bosnien den 10. Jahrestag seiner Unabhängigkeit. Foto: Anja Niedringhaus +++(c) dpa – Report+++
- Ein irakisches Mädchen hält sich die Ohren zu, während ein US-Marine der 1. Marine-Division, 3. Bataillon, 5. Regiment, am Samstag, dem 5. Februar 2005, das Zentrum der stark bewachten Stadt Falludscha im Irak patrouilliert. Zwei Monate nach dem Sturm auf Falludscha kehren Iraker:innen in die Stadt zurück und müssen mehrere von Marines der 1. Division und der irakischen Armee eingerichtete Sicherheitskontrollen passieren. (AP Photo/Anja Niedringhaus)
Formal setzt die Produktion auf eine stringente Montage (Schnittdramaturgie: Nela Märki), eine prägnante Bildgestaltung (Johannes Imdahl, Jürgen Rehberg) und eine zurückhaltende, aber eindringliche Musik (Doro Bohr), die den Raum für Aussagen von Zeitzeugen und Kollegen öffnet. Das Team um Produzentin Birgit Schulz (Bildersturm Filmproduktion) realisierte den Film in Koproduktion mit SWR, Deutsche Welle und HR, in Zusammenarbeit mit ARTE – ein Produktionsverbund, der Reichweite und diskursiven Anspruch gleichermaßen signalisiert. Gefördert wurde das Projekt u. a. durch die IDM Film Commission Südtirol und unterstützt von Brancheneinrichtungen wie Hot Docs, DOK.forum München, der European Broadcasting Union sowie der Justice for Journalists Foundation.
Inhaltlich bleibt „Anja Niedringhaus – Die Fotografin und der Krieg“ stets bei der Sache: Er rekonstruiert Karrierewege, Konflikträume und publizistische Wirkung – und erklärt, warum Niedringhaus’ Bilder zeitlos sind. Der Film zeigt, wie ihre Reportagen die Semantik des Kriegsbildes erweiterten: Nicht die Explosion, sondern die Folge; nicht der Soldat als Silhouette, sondern der Mensch mit Namen, Familie und Hoffnungen. Mit dieser Perspektive – und dem Mut, sie gegen Widerstände zu behaupten – wurde Niedringhaus zum Vorbild einer Generation junger Fotojournalistinnen und -journalisten.
Der dokumentarische Befund ist eindeutig: Niedringhaus’ Werk und ihr Tod sind ein dringlicher Appell an die Gegenwart, Medienfreiheit nicht als abstraktes Gut, sondern als konkrete Schutzpflicht zu begreifen – für die, die in Konflikten recherchieren, und für jene, über die berichtet wird. Indem der Film die offizielle Version der Ereignisse hinterfragt, stärkt er die kritische Öffentlichkeit – und zeigt zugleich, wie sehr verantwortungsvolle Kriegsberichterstattung demokratische Gesellschaften herausfordert und formt.
Fazit: Dieser Film ist Pflichtprogramm – nicht nur für die Fotoszene, sondern für alle, die verstehen wollen, wie Bilder aus Kriegen entstehen, wie sie wirken und warum die Wahrheit hinter ihnen Schutz und Aufklärung braucht.
Foto oben: Anja Niedringhaus (Foto: Jerry Lampen)













