Es beginnt mit einer Auszeichnung und mit einer Frage: Wie sieht ein klassisches Motiv aus, wenn es durch Gegenwart, Algorithmus und Erinnerung hindurchgeht? Julia Wimmerlin gehört mit „Nymphs 2.0“ zu den fünf Preisträgerinnen des PROFIFOTO NEW TALENT AWARD 25/2 – und ihr Projekt antwortet, indem es das wohl älteste Bild der Badenden entkernt und neu zusammensetzt.
Die Nymphe, dieses mythisch aufgeladene Wesen zwischen Natur und Projektion, tritt aus Flussläufen und Waldlichtungen heraus und erscheint in traumähnlichen Simulationen, in denen Wasser zu Code wird, Farbe zu Zeichen und Körper zu Oberfläche.
Wimmerlin arbeitet mit weichem Fokus, synthetischen Farbtönen und inszenierten Räumen; sie lässt die Figur zugleich anwesend und entzogen sein. Die Abstraktion der Körper und das Tilgen individueller Merkmale sind dabei kein formaler Selbstzweck, sondern ein Kommentar auf den tradierten Blick, der Frauen über Jahrhunderte als passive, pittoreske Objekte entwarf. Ihre Bildwelt verhandelt Autorschaft, Anonymität und Sinnlichkeit im Modus des Digitalen – jenseits von Realismus, aber mit sehr realem Nachhall. Jury-Mitglied Eveline Eisermann fasst es so: „Diese Serie überzeugt durch ihre poetische Unschärfe, die nicht nur eine traumähnliche Atmosphäre schafft, sondern auch das Spielerische zwischen Figur, Farbe und Raum kunstvoll inszeniert. Die Reduktion auf klare Formen, starke Farbkontraste und die konsequente Ästhetik verleihen der Serie eine eindringliche visuelle Identität. Technisch besticht sie durch ihre souveräne Bildsprache und eine mutige, fast malerische Bildkomposition.“
Kunstgeschichtlich wirft „Nymphs 2.0“ lange Schatten. Die Serie zitiert und widerspricht zugleich jenen Bildordnungen, die von den klassischen Nymphen bis zu den Badenden des 19. Jahrhunderts reichen, und koppelt sie an die Farb- und Formsprachen von Matisse, Modigliani und Malewitsch. Das Ergebnis ist ein post-physisches, post-malerisches Terrain: klare Silhouetten, starke Kontraste, flächige Setzungen – aber immer wieder durchkreuzt von Unschärfen, die ein Zögern im Sehen provozieren. Es ist, als ob die Bilder uns die alte Geste des Schauens lassen, aber den Gegenstand dieser Geste verschieben.
Dass Wimmerlin diesen Blick so präzise formuliert, hat mit ihrer Biografie zu tun. In der Ukraine geboren, heute in der Schweiz zu Hause, hat sie nach Studien und Karriere in Wirtschaft und Marketing 2014 der sicheren Laufbahn den Rücken gekehrt und zunächst als Reisefotografin gearbeitet – autodidaktisch und pragmatisch, aber mit starkem Gespür für Bildrhythmus. Die gesellschaftlichen Erschütterungen der frühen 2020er-Jahre wurden zum Wendepunkt: Aus der dokumentarischen Praxis wuchsen recherchierende Projekte und ein Wechsel zur zeitgenössischen Fine-Art-Fotografie. Seitdem untersucht sie, wie die „großen Narrative“ der Kultur im postmodernen Zitieren weiterleben – und wie sich in ihren Überlagerungen Träume, Ängste und Erinnerungen bündeln.
In „Nymphs 2.0“ lösen sich so die Grenzen der Realität: Linien verschieben sich, Farben gleiten aneinander vorbei, die weibliche Figur kippt ins Halb-Abstrakte, bleibt feminin, aber schwer greifbar, surreal, emotional aufgeladen. Entscheidend ist die Autorinnenschaft über den eigenen Auftritt: Diese Nymphen „geschehen“ nicht länger – sie entstehen. Sie beanspruchen Bildraum, aber auch Interpretationsraum, und sie tun es mit einer Konsequenz in Form und Farbe, die das Klassische nicht verleugnet, sondern umcodiert.
So wirkt Wimmerlins Serie wie ein ruhiger Einspruch und eine Einladung zugleich: gegen das überkommene Bild von Weiblichkeit, und hin zu einer Selbstbeschreibung, die sich ihrer Medien bewusst ist. Dass „Nymphs 2.0“ im Rahmen des NEW TALENT AWARD 25/2 ausgezeichnet wurde, markiert deshalb mehr als einen Karriereschritt. Es markiert einen Diskurs, in dem das Mythische nicht verschwindet, sondern weiterträumt – diesmal im eigenen Namen.
New Talent Award
Zweimal jährlich bietet der von Canon und ProfiFoto in Kooperation mit der Laif Genossenschaft, Hahnemühle und Whitewall ausgeschriebene New Talent Award Fotografinnen und Fotografen die Chance, bei der Umsetzung ihrer „Bilder im Kopf“ Unterstützung zu finden. Das aus dem >Canon Profifoto Förderpreis< weiterentwickelte Konzept öffnet den Wettbewerb für die zahlreichen Quereinsteiger in die professionelle Fotografie. Teilnehmen können alle, die professionell in der Fotografie oder artverwandten Berufsgruppen tätig sind, gleich welchen Alters und egal ob haupt- oder nebenberuflich. Die mit 3.000 Euro jährlich dotierte Auszeichnung wird alle sechs Monate von einer renommierten Jury an fünf Bewerber vergeben, deren fotografische Handschrift überzeugt und die mit ihren Konzepten neugierig machen auf mehr. Unter den insgesamt zehn Siegerarbeiten der jährlich zwei Wettbewerbs-Abschnitte ermittelt die Jury die drei besten Arbeiten. Neu ist Runde 26/1, weitere Informationen und Teilnahmebedingungen: www.profifoto.de






















