Der erste Blick führt nicht auf die Straße, sondern an ihr vorbei. Victor Feillant stellt ein Fenster zwischen sich und die Welt und gewinnt damit – paradoxerweise – Nähe. Für seine Serie „Through the Window, Life“ erhält der erst 30-jährige Pariser den PROFIFOTO NEW TALENT AWARD 25/2. Ausgezeichnet wird damit ein leiser Ansatz, der dem Lärm der Gegenwart nicht noch eine Facette hinzufügt, sondern ihm eine Pause entgegensetzt.
Acht Fotografien, entstanden im September und Oktober 2024 in Paris, bilden den Kern der Arbeit. Feillant fotografiert durch Scheiben von Cafés, Restaurants, Bussen. Das Glas ist Filter und Mitspieler: Es spiegelt, bricht, überlagert. Fingerabdrücke, Kratzer, Reflexe – all das bleibt im Bild und verändert, was dahinter geschieht: flüchtige Gesten, stille Begegnungen, Momente von Ruhe und Zärtlichkeit. Die Serie verweigert jedes Spektakel. Stattdessen vertraut sie auf Stille, Langsamkeit und Distanz – und gewinnt daraus eine erzählerische Spannung, die nicht behauptet, sondern anbietet.
Jury-Mitglied Christian Popkes: „Die Art und Weise, wie „Through the Window“ das Alltägliche in etwas Lyrisches verwandelt, ist einfach genial. Jedes Bild ist ein kleines Gedicht, das die flüchtigen Momente des Lebens feiert. Die lebendigen Farben und die gekonnte Nutzung von Unschärfe und Reflexionen schaffen eine einzigartige Atmosphäre, die den Betrachter sofort in ihren Bann zieht.“
Feillant nutzt Farbe nicht als Dekor, sondern als Setzer: kräftiges Rot, tiefes Blau, elektrisches Gelb schneiden durch das Gewöhnliche wie Markierungen im Text. Sie widersprechen der Idee, dokumentarische Fotografie sei farblich neutral. Das Dokument ist hier wahr, weil es parteiisch ist: Es nimmt Partei für den Moment, der sonst verrinnt, und für die Wahrnehmung, die aus kleinen Verschiebungen Sinn macht. Unschärfen und Verzerrungen sind keine Fehler, sondern die Grammatik eines Blicks, der die Welt nicht glättet.
In Zeiten, in denen Bilder auf Sofortwirkung getrimmt sind, setzt Feillant auf das verzögerte Sehen. „Through the Window, Life“ ist eine Einladung, länger zu bleiben – das Mitgemeinte zwischen den Ebenen zu lesen: den Schatten im Spiegel, die Hand, die nur halb sichtbar ans Glas rückt, das Paar, dessen Nähe eher als Farbe denn als Form erscheint. Gerade weil das Fenster Barriere ist, wird es zur Linse. Es schützt vor dem Reflex, zu nah heranzugehen, und erlaubt zugleich, die Ambivalenzen des Alltags sichtbar zu halten.

Man könnte sagen: Diese Serie übt stillen Widerstand – gegen die kontrollierte Narration, gegen das eindeutige Bild, gegen das glatte Storytelling. Feillant setzt auf das Unvorhersehbare, Übersehene, Echte. Sein Paris ist nicht die Postkarte und nicht die Kulisse, sondern eine Zwischenwelt aus Spiegelungen, in der sich Innen und Außen, Beobachter und Beobachtete, Farbe und Bedeutung mischen. Die Essayform der Bilder liegt darin, dass sie nicht beweisen, sondern fragen: Was bleibt von einer Szene, wenn man das Spektakel abzieht? Was erzählt ein Glas, das sich weigert, uns vollständig durchzulassen?
Dass der PROFIFOTO NEW TALENT AWARD 25/2 genau diese Haltung würdigt, ist folgerichtig. Feillant zeigt, wie zeitgenössische Street-Fotografie ohne Jagd nach dem „entscheidenden Moment“ auskommt – und gerade dadurch Zeit schafft: für die Ethik des Abstandes, für die Poesie des Unvollkommenen, für das Sehen als Beziehung statt als Beute. Seine acht Bilder sind kleine Räume, in denen sich etwas sammelt: Tageslicht, Farbe, Atem. Wer sich darauf einlässt, verlässt die Serie nicht mit einer Pointe, sondern mit einem anderen Puls.
New Talent Award
Zweimal jährlich bietet der von Canon und ProfiFoto in Kooperation mit der Laif Genossenschaft, Hahnemühle und Whitewall ausgeschriebene New Talent Award Fotografinnen und Fotografen die Chance, bei der Umsetzung ihrer „Bilder im Kopf“ Unterstützung zu finden. Das aus dem >Canon Profifoto Förderpreis< weiterentwickelte Konzept öffnet den Wettbewerb für die zahlreichen Quereinsteiger in die professionelle Fotografie. Teilnehmen können alle, die professionell in der Fotografie oder artverwandten Berufsgruppen tätig sind, gleich welchen Alters und egal ob haupt- oder nebenberuflich. Die mit 3.000 Euro jährlich dotierte Auszeichnung wird alle sechs Monate von einer renommierten Jury an fünf Bewerber vergeben, deren fotografische Handschrift überzeugt und die mit ihren Konzepten neugierig machen auf mehr. Unter den insgesamt zehn Siegerarbeiten der jährlich zwei Wettbewerbs-Abschnitte ermittelt die Jury die drei besten Arbeiten. Neu ist Runde 26/1, weitere Informationen und Teilnahmebedingungen: www.profifoto.de
















