Dass Frankreich 2026 „zweihundert Jahre Fotografie“ feiert, klingt verwirrend, ist es doch erst 189 Jahre her, seit am 19. August 1839 die Französische Akademie der Wissenschaften in Paris das Verfahren der Daguerreotypie vorstellte. Am selben Tag erklärte das französische Parlament die Erfindung von Louis Daguerre zum „Geschenk an die Welt“ – ein symbolischer Akt, der lange als Geburtsstunde der Fotografie galt.
Dieses Datum war jahrzehntelang jedenfalls unbestritten. Noch im Jahr 2014, also zum 175. Jubiläum, wurde es hierzulande verhalten gewürdigt – meist durch Fachinstitutionen, kaum jedoch öffentlich zur Kenntnis genommen. Eine nationale oder gar europäische Feierlichkeit blieb aus. Das breite Bewusstsein für den kulturgeschichtlichen Einschnitt, den die Fotografie bedeutete, blieb erstaunlich gering.
Nun also: „200 Jahre Fotografie“ – allerdings nicht 2039, sondern schon 2026. Grund ist die Rückdatierung auf die frühen Experimente des Franzosen Joseph Nicéphore Niépce, der um 1825/1826 die erste erhaltene Fotografie der Welt schuf: „Blick aus dem Arbeitszimmer in Le Gras“ (Foto oben). Frankreich, das sich mit gutem Recht als Geburtsland der Fotografie versteht, verlagert daher den historischen Nullpunkt um rund dreizehn Jahre nach vorn – und damit auch das Jubiläum.
Das französische Kulturministerium hat ein staatlich koordiniertes Programm aufgelegt: den „Bicentenaire de la Photographie 2026–2027“. Es handelt sich um ein landesweites Programm von September 2026 bis September 2027, das in Museen, Archiven, Städten und Regionen sowie auf Festivals stattfinden soll – vieles mit Bezug auf Niépce und das Maison Nicéphore Niépce bei Chalon-sur-Saône, dem historischen Ursprungsort.
Bereits im Juni 2025 fand im Pariser Palais de Tokyo im Rahmen des „Parlement de la Photographie“ eine eigene Diskussionsrunde zum Bicentenaire statt. Der erste Projektaufruf lief bis 1. Juni 2025, die erste Auswahlrunde wurde im Juli mit rund 180 gelabelten Projekten veröffentlicht.
Im kommenden Jahr wird Frankreich damit zur Bühne eines groß angelegten „Bicentenaire“, das nicht nur historische, sondern auch gegenwartsbezogene Fotokunst einbindet.
Und der Rest der Welt? In Deutschland sind zwar Großereignisse wie die Triennale der Fotografie Hamburg 2026 geplant, jedoch ohne offiziellen Jubiläumsbezug. In Großbritannien (V&A London, National Science and Media Museum Bradford) und den USA (FotoFest Houston, FotoFocus Cincinnati) wird das Thema Fotografie selbstverständlich präsent bleiben – doch eine staatlich koordinierte Bicentenary-Klammer existiert nirgends. Damit ist die französische Initiative derzeit einzigartig, sowohl in ihrer kulturellen Ambition als auch in ihrer historischen Deutungshoheit.
Einerseits ist die Verschiebung auf 1826/27 historisch durchaus haltbar – schließlich stammen Niépces Heliographien von damals. Andererseits wirkt die neue Zählweise symbolisch opportun: Sie erlaubt ein Jubiläum „schon jetzt“, statt erst 2039.
Damit droht der Fotografie ein merkwürdiges Schicksal: Ihre Geburtsstunde ist zugleich beweglich und beliebig geworden. Nach 2027 folgt – wenn man der neuen Chronologie treu bleibt – das nächste runde Jubiläum wohl erst 2076. Es sei denn, man findet bis dahin ein noch älteres Negativ. Bleibt die Frage: Wie erinnern wir kulturelle Erfindungen, und wer entscheidet, wann sie gefeiert werden? Vielleicht ist das alles aber auch gar nicht wichtig … (Kommentar: Thomas Gerwers).
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