Markus Schaden ist Mitbegründer des PhotoBookMuseums in Köln und gilt als einer der profiliertesten Experten im Bereich Fotobuch. Mit seiner Arbeit trägt er maßgeblich dazu bei, diesem Medium eine breitere Öffentlichkeit zu erschließen und seine Rolle als künstlerisches Ausdrucksmittel zu stärken.

ProfiFoto: Markus, das von Dir mitbegründete PhotoBookMuseum ist eine Institution ohne festen Ort – und doch international präsent.
Markus Schaden: Wir sind in allen Bereichen aktiv, die ein Museum heute leisten muss – vom Sammeln über Ausstellen bis hin zur Vermittlung. Wir haben eine Vielzahl von Fotobüchern aus verschiedenen Sammlungen erworben und stellen uns immer wieder die Frage: Wie stellt man das Medium Fotobuch überhaupt aus?
Uns war früh klar: Das Fotobuch braucht ein größeres Publikum, nicht nur die kleine Szene, die Bücher produziert, verkauft und bespricht. Unser Büro in den Räumen meiner vorherigen Buchhandlung ist Arbeits- und Showroom zugleich, und die Straße davor wird regelmäßig zur Bühne. Da wir bisher noch keine dauerhafte Lösung für ein eigenes Haus gefunden haben, machen wir aus der Not eine Tugend und beziehen Nachbarschaft und Öffentlichkeit direkt mit ein.
Zusätzlich haben wir vor kurzem einen Freundeskreis gegründet, den Circle of Friends, der sich sehr erfolgreich entwickelt. Und wir betreiben den Dummy Award, den wir vom Fotobook Festival Kassel übernommen haben – ein Preis für unveröffentlichte Fotobücher, der mittlerweile weltweit tourt und enormen Zuspruch erhält.
Ihr zeigt aktuell Martin Parr im Neuen Museum Nürnberg. Was steckt hinter dieser Ausstellung?
Wir hatten das Glück, eingeladen zu werden, eine 25 mal 25 Meter große Halle im Neuen Museum zu bespielen. Daraus entstand die Idee für das „Grand Hotel Parr“.
Wir zeigen dort das gesamte Werk von Martin Parr – zwischen 150 und 250 Publikationen, inklusive Special Editions, die wir besitzen. Den Raum haben wir dafür in eine Hotellobby verwandelt, mit allem, was dazugehört: Rezeption, Bar, Frühstücksraum, Fernsehecke, sogar ein Beach Resort und ein Billardzimmer.
Das Besondere: Rund 70 bis 75 Bücher liegen frei aus, die Besucher können darin blättern und sich in Parrs Werk vertiefen. Damit eröffnen wir ein Experiment, das die klassische Ausstellungspraxis hinterfragt. Wir wollen, dass die Leute sich wie in einem Hotel niederlassen und in eine eigene, vielleicht auch überraschende Begegnung mit Parrs Fotobüchern eintauchen.

Wenn du die letzten Jahrzehnte betrachtest – was hat sich beim Fotobuch verändert?
Als ich Mitte der 1990er-Jahre angefangen habe, stand das Fotobuch noch im Schatten. Die Fotografie selbst hatte sich gerade erst in den Museen etabliert – Prints hingen an den Wänden, aber Fotobücher blieben Randerscheinung.
Damals gab es nur eine Handvoll Buchhandlungen, die Fotobücher führten. Wer ein Buch entdecken wollte, musste in den Laden gehen. Heute ist alles anders: Online-Plattformen, Social Media und spezialisierte Communities haben Reichweite und Sichtbarkeit enorm gesteigert.
Das führte zu einem regelrechten Boom: Ab den 2000ern entstand eine Generation von Fotografen, die Fotobücher als zentrales Medium begriffen. Neue Verlage schossen aus dem Boden, Messen wie die Paris Photo wurden zu zentralen Treffpunkten. Ich erinnere mich noch: 1999 standen dort gerade mal drei Buchhändler, heute präsentieren über 400 Verlage ihre Programme – vom Ein-Mann-Verlag bis zu internationalen Häusern.

Gleichzeitig scheinen die Auflagen kleiner zu werden. Täuscht das?
Nein, das stimmt. Früher erschienen einzelne Blockbuster in hohen Auflagen von Zehntausenden. Heute bringen hundert kleine Verlage gleichzeitig ihre Bücher heraus – oft mit Auflagen im niedrigen dreistelligen Bereich. Das führt zu einer enormen Vielfalt, wirkt aber auch unübersichtlich.
Ob der Käufermarkt in gleichem Maß wächst, ist schwer zu sagen. Reich wird niemand mit Fotobüchern, viele verlieren sogar Geld. Aber die Resonanz ist da: Bei der Paris Photo gibt es mittlerweile rund 240 Book Signings, oft mit langen Schlangen – selbst bei Debütanten. Auch Nebenveranstaltungen wie die Polycopies auf der Seine, einst ein Insider-Treffen, sind heute so überlaufen, dass Türsteher Einlasskontrollen durchführen müssen.
Das zeigt: Auch wenn Zahlen schwer zu belegen sind, existiert ein leidenschaftliches Publikum, das diese Vielfalt annimmt.
Welche Trends siehst du aktuell in der Gestaltung von Fotobüchern?
Der deutlichste Trend ist das Autorenbuch. Junge Fotografen bringen ihr eigenes Narrativ ein, erzählen persönliche Geschichten. Gerade nach Corona erlebten wir eine starke Zunahme autobiografischer Projekte. Das zieht sich durch alle Regionen, von Japan bis Chile.
Selfpublishing spielt eine wachsende Rolle, auch wenn die Distribution nach wie vor eine Hürde ist. Verlage arbeiten heute weniger hierarchisch, eher als Partner. Viele Buchmacher kommen bereits mit einem klaren Konzept zu Layout, Sequenzierung und Gestaltung.
Das Niveau ist enorm hoch. Beim Dummy Award sehen wir jährlich 400 bis 500 Einreichungen aus über 60 Ländern – durchweg ambitioniert. Von „Schauderhaftem“ kann keine Rede sein.

Du leitest seit vielen Jahren Workshops. Welche Kriterien gibst du den Teilnehmenden mit?
Das Wichtigste ist, Fotografie ernst zu nehmen. Viele kommen mit tausenden Bildern – die erste Aufgabe ist, im Chaos Überblick zu gewinnen und das Material zu verdichten. Reduktion ist entscheidend.
Ich erinnere mich an zwei Teilnehmerinnen, die jahrelang einen Adventsbasar in Wiesbaden fotografiert hatten. Erst dachte jeder: „Was soll daraus werden?“ Aber nachdem wir hunderte Bilder auf rund 100 reduziert hatten, entstand ein Fotobuch, das tatsächlich funktionierte.
Ein Fotobuch ist letztlich ein Dialogangebot. Die Fotografin Dayanita Singh hat es wunderbar gesagt: „Ein Fotobuch ist immer ein Angebot an einen Gesprächspartner in der Zukunft – an einen anonymen Gesprächspartner.“ Das bringt es für mich auf den Punkt.
Ihr habt vor drei Jahren die Bibliothek von Fritz und Renate Gruber übernommen.
Ja, und das war ein Glücksfall. Die Prints der Grubers liegen ja im Museum Ludwig. Aber die Bibliothek konnten wir bewahren – komplett, im Originalzustand, inklusive Möbeln, Korrespondenz und sogar Fritzens berühmtem Photokina-Obelisken.
Beim Durchsehen finden wir immer wieder Schätze, etwa einen Jazz-Katalog von 1957, gestempelt „Bibliothek Gruber“. Die Grubers haben nie nur Fotografie gesammelt, sondern Kultur in ihrer ganzen Breite – Fotografen, Musiker, Künstler trafen aufeinander.
Für uns ist klar: Wir wollen solche Sammlungen in ihrer gewachsenen Form erhalten, nicht auseinanderreißen. Die Gruber-Bibliothek bleibt ein Ganzes – und soll künftig wissenschaftlich und öffentlich zugänglich werden.
Wie steht es um einen festen Standort für das Museum?
Momentan arbeiten wir in unserem Büro mit Showroom. 2018 hatten wir schon ein Konzept für einen alten Bunker hier in Ehrenfeld – mit Machbarkeitsstudien und Unterstützung der Denkmalstiftung. Ein Modell steht hier im Büro. Wir waren kurz vor einem Ratsbeschluss, doch dann stoppte die Bundesregierung alle Bunker-Verkäufe nach dem russischen Angriff auf die Ukraine.
Wir konnten immerhin den Bunkergarten mit 400 Quadratmetern nutzen, wo wir zuletzt eine Ausstellung von Stephen Gill zeigten. Aber unser Ziel bleibt, den Bunker langfristig zu übernehmen – fünf Etagen, Dachterrasse, Garten. Ein idealer Ort für Depot und Ausstellungen, mitten im lebendigen Köln-Ehrenfeld.
Wie groß ist eure Sammlung aktuell?
Knapp 50.000 Bücher. Viele lagern kartonisiert an verschiedenen Orten, nur ein Teil ist hier zugänglich. Wir sind ein vollständig privat finanziertes, gemeinnütziges Projekt – getragen von Freunden und Unterstützern. Kooperationen wie jetzt mit Nürnberg helfen, sind aber immer projektbezogen.
Unser Ziel ist klar: Wir wollen die Sammlung an einem Ort zusammenführen, als offenes Depot, Hybrid aus Bibliothek und Ausstellung. Ein Raum, in dem man Stunden verbringen, lesen und entdecken kann.
Wie ordnest du die Fotobuch-Awards ein?
Es gibt weltweit viele Dummy Awards, etwa in Hongkong, Aarhus oder Italien. Das ist wichtig, weil sie niederschwellig funktionieren. Das große Flaggschiff bleibt der Aperture/Paris Photo Award – auch wenn er im Umbruch ist, seit Leslie Martin, die ihn mit aufgebaut hat, zu Printed Matter gewechselt ist.
Früher gab es in Kassel den Photobook Award, ein Publikumspreis mit 30 Experten, die jedes Jahr ihre Favoriten präsentierten. Ein solches Format könnte heute wertvolle Orientierung bieten – gerade in Zeiten der Vielfalt.
Zur Person
Markus Schaden, ursprünglich gelernter Buchhändler, fand in den 1990er-Jahren seinen Weg in die Welt der Fotografie und spezialisierte sich früh auf das Medium Fotobuch. Mit einer eigenen Fotobuchhandlung und einem Verlag machte er sich selbstständig und prägte entscheidend die Entwicklung dieser Gattung. Besonders um die Jahrtausendwende, in einer Phase, die oft als „goldene Dekade des Fotobuchs“ bezeichnet wird, war er aktiv an der Gestaltung, Verbreitung und Popularisierung dieser Kunstform beteiligt.
Ende der 2000er-Jahre entschied sich Schaden, die kommerziellen Aktivitäten seiner Buchhandlung und seines Verlags einzustellen. Stattdessen widmete er sich einer neuen Aufgabe, die stärker gemeinnützig ausgerichtet war: der Gründung des Fotobook Museum. Gemeinsam mit Friedrich Lesmy und einem kleinen Team führt er seit über einem Jahrzehnt die Institution in Köln. Ziel des Museums ist es, das Fotobuch als eigenständiges Medium weiterzuentwickeln, dessen kulturelle Bedeutung zu vermitteln und die Fotobuchkultur in all ihren Facetten zu fördern.
Foto oben: Markus Schaden (© Hartmut Bühler)
Fotos: © Nikita Teryoshin










