Der Deutsche Jugendfotopreis schreibt sich seit Jahrzehnten auf die Fahne, „junge Sichtweisen sichtbar“ zu machen. Das klingt nach Offenheit – nach Bilderfindung, nicht nach Bildauftrag. Doch die Ausschreibung 2025/26 rutscht an einen Punkt, an dem Fotografie nicht mehr als autonomes Ausdrucksmittel begriffen wird, sondern als pädagogisches Instrument für gesellschaftliche Bewusstseinsbildung.
Das Jahresthema „Ein Haus, Ein Boot, Ein Auto“ wird vom Deutschen Jugendfotopreis nicht als offener Resonanzraum formuliert, sondern als didaktische Agenda: Besitz = Status > Status = Problem > Problem = soziale Ungleichheit > Erwünschte Aussage = Kritik.
Damit folgt der Wettbewerb einer Logik, die wir aus Schule, Soziologieprojekten und Stiftungsprogrammen kennen: Bildproduktion als Illustration gesellschaftspolitischer Leitnarrative. Doch Fotografie – besonders Jugendfotografie – funktioniert anders.
Bildpraxis ist kein Arbeitsblatt. Künstlerische Motivation entsteht selten aus moralischen Leitfragen. Und ästhetische Prozesse brauchen Ambiguität, nicht Belehrung.
Wenn man Bildproduktion vorsortiert, wird das Bild zum Bestätigungsmedium. Junge Menschen werden zu Erfüllungsgehilfen moralischer Narrative. Subjektivität wird durch vermutete gesellschaftliche Relevanz ersetzt.
Genau das unterläuft, was Fotografie seit den 1960ern stark gemacht hat – von Diane Arbus bis Wolfgang Tillmans: das unverfügbare Eigeninteresse.
Gerade bei einem Wettbewerb, der seit 60 Jahren „junge Positionen“ fördern will, wäre es ein Fortschritt, die Deutungshoheit vollständig abzugeben. Stattdessen wird eine ideologisch saturierte Bildgrammatik vorgegeben: Kontrast-Bilder, Arm-Reich-Narrativ, dokumentarische Evidenzerwartung. Die Ausschreibung legt sogar semantische Felder fest („Metaphern“, „Konflikte“, „gesellschaftliche Fragen“) – und damit auch die Erwartung, dass junge Menschen ihre Fotografie erklären sollen.
Dabei war Fotografie immer dann stark, wenn sie sich entzieht. Wenn sie poetisch statt korrekt ist. Wenn sie fragt, statt auszustellen. Der Wettbewerb betont, junge Stimmen sichtbar machen zu wollen – aber die Ausschreibung beschneidet genau diese Stimme, indem sie vorgibt, was sie sagen sollen.
Das Problem ist nicht die soziale Frage. Natürlich sind Ungleichheit, Armut, Eigentum, Privileg Themen der Zeit. Aber junge Fotografie sollte nicht als Diskurs-Assistenz auftreten müssen. Bildproduktion ist keine politische Jugendbeteiligung. Sie ist ein Prozess der Selbstvergewisserung, der auch Amoralisches, Hedonistisches, Banales, Widersprüchliches einschließen darf.
Was wäre mutiger gewesen? Themenoffenheit ohne Erwartungshaltung. Ein Motto, das Interesse generiert, nicht Haltungsschuld. Vertrauen darauf, dass junge Bilder schon ihre eigene Politik finden. Kurz: Mehr Kunst. Weniger Curriculum.
Denn wer Bilder ernst nimmt, lässt sie atmen. Und zwingt sie nicht zu Aussagen, die bereits in der Ausschreibung stehen.
Autor: Thomas Gerwers
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