Die Porträtfotografie ist ein essenzieller Bereich im Rahmen der Positionierung vieler Fotografinnen und Fotografen. Die Corporate- oder Businessfotografie galt lange als krisensicher und dient, seit der „Zeitrechnung der Künstlichen Intelligenz“, vielen Werbe- oder Modefotografinnen und Fotografen als neues Standbein, um ihr Geschäftsmodell zukunftsfähig zu gestalten. Das ergibt Sinn, denn die Corporate- und Porträtfotografie liefert kontinuierlich neue Geschichten und aktuelle Anlässe für fotografische Arbeit. Ob Menschen, Räume, Produkte oder Dienstleistungen, fotografische Dokumente stärken das Image, helfen, die Außenwirkung gezielt zu steuern und haben damit eine reale soziale Funktion in der Gesellschaft für das jeweilige Publikum. Doch warum wird die Porträtfotografie auf so vielen Fotografen-Websites mit dem Begriff authentisch vermarktet?
Um einem Text über ihre Arbeitsweise und ihr Vorgehen anzufertigen, las ich auf der Website einer Fotografin einmal mehr die Beschreibung authentisch. Mittlerweile habe ich eine gewisse Abneigung gegen diesen Begriff entwickelt, weil er tatsächlich inflationär von Fotografinnen und Fotografen verwendet wird, wenn es um die Vermarktung ihrer Porträtfotografie geht. Ich fragte die Fotografin, was sie mit dem Wort eigentlich genau meint und warum es ihrer Meinung nach wichtig sei, dass ein Porträt authentisch sei. Sie antwortete, dass sich ihrer Erfahrung nach Kundinnen und Kunden authentische Porträts wünschten, die sie unverstellt und so zeigen, wie sie wirklich sind. Und dass es für die Auftraggeberinnen und Auftraggeber entscheidend sei, im Shooting authentisch sein zu dürfen, damit sie ihre Scheu vor der Kamera verlieren und die Fotosession letztlich positiv in Erinnerung bleibt.
Steht authentisch demnach für, „ich muss mich nicht verstellen oder anstrengen, nicht vorgegeben jemand zu sein, darf mein Inneres zeigen und tief in meine Seele blicken lassen“?
In der digitalen Gesellschaft beeinflusst die Porträtfotografie maßgeblich Prozesse der Selbstinszenierung und Identitätsbildung, insbesondere durch ihre allgegenwärtige Präsenz in den sozialen Medien. Dabei haben Porträts innerhalb der sozialen Funktion der Fotografie eine besonders vielschichtige und kraftvolle Rolle, denn sie dienen der Identitätskonstruktion. Der visuellen Darstellung und Aushandlung von Identität – sowohl der Selbst- als auch der Fremdwahrnehmung. Sie ermöglichen es Personen, sich selbst zu inszenieren oder inszenieren zu lassen und zugleich von anderen interpretiert zu werden. Und das auf eine Weise, die die Porträtierten selbst festlegen und bestimmen können.
Auch die soziale Repräsentation wird durch die Porträtfotografie dargestellt, sie reflektiert gesellschaftliche Normen und Hierarchien, indem sie Zugehörigkeiten sichtbar macht oder bewusst infrage stellt. Porträtfotografie ist Dokumentation und Erinnerung, sie konserviert nicht nur das äußere Erscheinungsbild, sondern auch soziale Rollen, emotionale Zustände und kulturelle Kontexte – oft über Generationen hinweg. Ein gutes Porträt kann Nähe, Würde und Persönlichkeit vermitteln, wodurch es als soziales Bindeglied zwischen Betrachtendem und Abgebildetem wirkt, und eine Beziehung herstellt.
Die soziale Funktion von Fotografie ist vielschichtig, und wie wunderbar ist es, dass Fotografinnen und Fotografen dabei in der Rolle der Regisseure sind und diese Inszenierung steuern können. Denn das ist es in meinen Augen: Ein gutes Porträt ist sorgfältig inszeniert und hilft der porträtierten Person, ihre Ziele mit einem Bild zu erreichen. Unterstützt bei der Vermarktung, wirkt kompetent und zugewandt, vielleicht lebendig, positiv oder frech und humorvoll. Ein gutes Porträt darf alles sein und alles erfüllen, aber es sollte bitte nicht authentisch sein. Denn es kommt letztlich darauf an, wie die porträtierte Person wahrgenommen werden möchte und welche Außenwirkung mit dem Bild erzeugt werden soll.
In der Porträtfotografie wird oft der Anspruch erhoben, „das Wahre“ oder „das Eigentliche“ einer Person zu zeigen. Dabei ist jedes Porträt zwangsläufig eine Konstruktion – durch Auswahl des Moments, der Pose, des Lichts, des Bildausschnitts und durch das Zusammenspiel zwischen Fotografin oder Fotograf und porträtierter Person. Authentizität ist somit nicht objektiv gegeben, sondern ästhetisch und sozial erzeugt – eine inszenierte Authentizität. Vielleicht können wir uns darauf einigen?
Und wie authentisch ist Ihre Fotografie?
Silke Güldner coacht Fotografinnen und Fotografen dabei, ihr Potenzial und ihre Kompetenz im Foto-Business zu entwickeln, zu präsentieren und zu verkaufen.