Der jetzt erschienene Dokumentarfilm „The Stringer“ erhebt den Vorwurf, das ikonische Foto „The Terror of War“ sei dem AP-Fotografen Nick Ùt fälschlicherweise zugeschrieben worden und stamme tatsächlich von einer örtlichen Hilfskraft. ProfiFoto nennt die Belege, die die Zweifel an der Urheberschaft begründen sollen.
„The Stringer“ feierte am 25. Januar auf dem Sundance Film Festival 2025 Premiere. Der Dokumentarfilm unter der Regie von Bao Nguyen beleuchtet die Entstehungsgeschichte eines der bekanntesten Fotos des 20. Jahrhunderts: „The Terror of War“, besser bekannt als „Napalm Girl“.
Das Foto wurde am 8. Juni 1972 unmittelbar nach einem „Friendly Fire“-Bombardement südvietnamesischer Piloten auf das Dorf Trang Bang aufgenommen und zeigt die neunjährige Kim Phùc, die nackt und schwer verbrannt nach einem Napalm-Angriff weinend über eine Straße läuft.
Das Foto, das weltweit als Symbol für die Schrecken des Krieges gilt, brachte dem Associated-Press-Fotografen Nick Ùt 1973 den Pulitzer-Preis ein. Es war der Eckpfeiler seiner Karriere, bis er 2017 bei Associated Press in den Ruhestand ging. Ùt war erst 21 Jahre alt, als sich der Vorfall in Trảng Bàng ereignete.
Von dem Geschehen existiert zeitgenössisches Film- und weiteres Fotomaterial, das im Dokumentarfilm in Auszügen gezeigt wird. Der Film von Regisseur Bao Nguyen stellt in Frage, ob Ùt tatsächlich der Urheber ist, oder ob das Bild von einem lokalen Mitarbeiter, einem sogenannten „Stringer“, aufgenommen wurde, der Begriff für Fotografen, die freiberuflich für internationale Presseagenturen arbeiten.
Die Behauptung im Film stammt von Carl Robinson, einem AP-Fotoredakteur, der an dem besagten Tag in Saigon war. Im Film behauptet Robinson, dass Horst Faas, der Leiter der Fotoabteilung in Saigon, ihn anwies, das Foto Nick Ùt zuzuweisen.
Dem Film nach wollte Carl Robinson sich kurz vor seinem achtzigsten Geburtstag von der Last einer „50 Jahre währenden Vertuschung“ befreien. Demnach schrieb er eine E-Mail an den Fotojournalisten Gary Knight, der Mitbegründer und CEO der VII Foundation ist, einer gemeinnützigen Organisation, die sich für den Journalismus einsetzt und Bildungsarbeit leistet.
Der Film begleitet Knight bei seinen Nachforschungen, bei denen er von den Journalisten Fiona Turner, Terri Lichstein und Lê Vân unterstützt wurde. Robinsons vietnamesische Frau, Kim-Dung Robinson, half demnach bei der Informationsbeschaffung.
Um Robinsons Behauptung zu überprüfen, stellte das Filmteam zwei Jahre lang Nachforschungen an, die sie schließlich zu Nguyen Thanh Nghe führten, der im Film behauptet, er – also nicht Ùt – habe das Foto gemacht und hätte dafür 20 Dollar von AP erhalten. Tatsächlich war Nguyen Thanh Nghe der Fahrer des an diesem Tag vor Ort anwesenden NBC Teams.
Statt auf die Aussagen der vor Ort anwesenden Journalisten, stützt Nguyen sich allerdings ausschließlich auf die Wahrnehmung des lokalen Hilfspersonals. Kim Phùc selbst hat sich nicht zu einem Interview für den Film zur Verfügung gestellt, hat aber nach eigenen Angaben auch keine Erinnerungen an den entscheidenden Tag.
Gary Knight: „Wir haben 55 Personen interviewt, 45 davon vor der Kamera, und wir haben forensische Untersuchungen durchgeführt“. Diese Interviews verweben Nguyen und sein Cutter Graham Taylor mit Archivmaterial und Schwarz-Weiß-Nachstellungen – kurze und dialogfreie Darstellungen des Saigons der Kriegszeit, als Hunderte von internationalen Journalisten in der Stadt lebten und arbeiteten. Das Hauptaugenmerk des Filmemachers liegt jedoch auf der Recherche, die sich vom Kriegsmuseum in Ho-Chi-Minh-Stadt, wie Saigon heute heißt, bis in die Vororte von Kalifornien erstreckte.
Als Grund für Nghes langes Schweigen verweist Nguyen darauf, dass der Vietnamese nach seiner Flucht in die USA davon ausging, dass Zweifel an seiner Glaubwürdigkeit überwogen hätten. Út, der nicht selbst in dem Dokumentarfilm zu Wort kommt, weist der Film eine „ungefragt übernommenen Rolle in einem massiven Fall von Verwechslung“ zu.
Zu den Argumenten, die in dem Film vorgebracht werden, gehört eine Rekonstruktion der Ereignisse, die unter Verwendung aller verfügbaren Foto- und Filmaufnahmen erstellt wurde und beweisen soll, dass Ùt im Gegensatz zu Nghe nicht in der Position gewesen sei, aus der das Foto entstanden ist.
Tatsächlich führte auch AP vor der Veröffentlichung des Films sechs Monate lang eigene Nachforschungen über die Entstehung des Fotos durch und befragte sieben Personen, die Zeugen der Ereignisse an jenem Tag auf der Straße von Trảng Bàng und im Büro der AP in Saigon waren, wo das Bild entwickelt und vergrößert wurde. Keiner dieser Zeugen wurde für den Film vor der Kamera befragt.
Dem zufolge hat Robinson 2005 in einer mündlichen Befragung für das AP-Unternehmensarchiv außerdem weder erwähnt, dass er das Foto falsch identifiziert hat, noch hatte er angedeutet, dass er unsicher sei, ob das Foto von Ùt aufgenommen worden sei. Auch in seinem Buch über seine Zeit in Vietnam gibt es keinen Hinweis auf Robinsons Anschuldigungen, worüber er im Film sein Bedauern zum Ausdruck bringt.
Der AP-Bericht kommt jedenfalls zu dem Schluss: „In Ermangelung neuer, überzeugender Beweise für das Gegenteil hat die AP keinen Grund zu glauben, dass jemand anderes als Ùt das Foto gemacht hat“. Sollte der Film hier neue Erkenntnisse bringen, will AP diesen nachgehen.
Nick Ùt selbst hat immer wieder beteuert, dass er das Foto gemacht habe. Dass er nach der Aufnahme Kim Phuc ins Krankenhaus brachte, mag seine Version der Geschichte untermauern. Einstweilen steht Aussage gegen Aussage.
James Hornstein, der Nick Ùt als Anwalt vertritt: „Wie man sich vorstellen kann, ist es für ihn persönlich und emotional ziemlich erschütternd. Dies ist vielleicht das wichtigste Werk, das er in seinem Leben geschaffen hat, denn dieses Foto hat ihm viel Anerkennung eingebracht. Und dass man ihn der Lüge bezichtigt, wie es dieser Film tut, ist niederschmetternd.“
Die Filmkritikerin Sheri Linden im Hollwood Reporter. „Letztlich ist „The Stringer“ aber mehr als ein Film über ein ikonisches Foto, sondern vielmehr eine tiefgehende Untersuchung über die Mechanismen des Fotojournalismus, die Rolle lokaler Mitarbeiter und die Herausforderungen, die mit der Zuschreibung von Urheberschaft einhergehen.“
Hinweis: In der ProfiFoto Printausgabe 3/25 erscheint Ende Februar ein detaillierter Report des Foto-Historikers Michael Ebert. Er hat nicht nur jahrelang über das Foto geforscht, sondern war auch bei den Recherchen der Nachrichtenagentur AP zu dem Film „The Stringer“ involviert.
https://theviifoundation.org/report/the-stringer/