Posthum entfaltet sich mit Amazônia an zwei großen Ausstellungsorten in Brüssel und Köln das vielleicht eindrucksvollste Spätwerk des am 23. Mai 2025 verstorbenen Fotografen Sebastião Salgado.

Foto: Renato Amoroso
Sebastião Salgado, geboren 1944 im brasilianischen Aimorés, studierte Wirtschaftswissenschaften und arbeitete für internationale Organisationen, bevor er in den 1970er Jahren der Fotografie seine ganze Aufmerksamkeit widmete. Seine Reportagen über Minenarbeiter, Geflüchtete oder indigene Völker machten ihn weltberühmt.
In seinen ikonischen Serien wie Workers, Exodus oder Genesis stellte er soziale Realität und ökologische Verantwortung ins Zentrum. Die Schwarz-Weiß-Ästhetik seiner Werke verstärkte dabei ihre emotionale und politische Kraft.
Von 2013 bis 2019 reiste Salgado durch den brasilianischen Amazonas. Auf Booten, zu Fuß und im Helikopter dokumentierte er nicht nur die spektakulären Landschaften – dichte Wälder, hoch aufragende Berge, mäandernde Flüsse – sondern auch das Leben von über zehn indigenen Völkern. Entstanden ist ein Porträt der größten tropischen Regenwaldregion der Erde und der Menschen, die sie bewahren.
Dabei war sein Anliegen nicht allein künstlerisch, sondern zutiefst politisch: Amazônia ist ein Manifest gegen die Zerstörung und für den Schutz kultureller Vielfalt. Salgado zeigt die Amazonasregion nicht als exotisches Paradies, sondern als lebendiges, verletzliches Ökosystem – mit über 300 Sprachen, jahrtausendealten Kulturen und einem „Lungensystem“ aus Millionen von Bäumen, das mehr Wasser in die Atmosphäre pumpt als der Atlantik.

Yawanawá-Frau. Bundesstaat Acre, Brasilien, 2016. © Sebastião Salgado

Bundesstaat Acre, Brasilien, 2016. © Sebastião Salgado
Die aktuell noch bis zum 11. November im Tour & Taxis in Brüssel präsentierte Ausstellung ist ein multisensorisches Erlebnis: Über 200 großformatige Fotografien werden in Verbindung mit einer Klanginstallation von Jean-Michel Jarre präsentiert. Geräusche der Wälder – Vogelrufe, Wind, Wasserfälle – wurden mit Kompositionen zu einer „Symphonie-Monde“ verwoben. In eigens gestalteten Ausstellungsräumen, inspiriert von indigenen Häusern (ocas), begegnet das Publikum Bildern, Stimmen und Musik aus dem Inneren des Regenwalds.

Junge Ashaninka-Frau. Bundesstaat Acre, Brasilien, 2016.
© Sebastião Salgado
Vom 29. Oktober bis 15. März 2026 feiert die Ausstellung dann ihre Deutschlandpremiere im Rautenstrauch-Joest-Museum in Köln. Begleitet werden wird die Ausstellung von einem umfangreichen Rahmenprogramm mit Vorträgen, Dialogveranstaltungen und künstlerischen Interventionen. In einem „Open Space“ werden sich Stimmen aus dem Globalen Süden mit lokalen Initiativen treffen. Neben der Bildsprache von Salgado stehen hier auch indigene Perspektiven im Vordergrund – durch dokumentarische Filme und aufgezeichnete Gespräche.

Marubo-Indigene, Javari-Tal. Bundesstaat Amazonas, Brasilien, 1998. © Sebastião Salgado
Im Zentrum beider Ausstellungen stehen Begegnungen: mit den Asháninka, Yawanawá, Zo’é, Yanomami und vielen anderen Gemeinschaften. Salgado war dabei nicht Beobachter, sondern Gast – und oft Mitbewohner. Die Porträts, die so entstanden, zeigen Stolz, Verletzlichkeit und Hoffnung.
Ein weiterer Höhepunkt sind die audiovisuellen Räume: Während in einem Raum das Poème symphonique Erosão von Heitor Villa-Lobos die Ursprünge des Amazonas thematisiert, wird in einem anderen die Serie Retratos mit Musik von Rodolfo Stroeter präsentiert – eine Hommage an die indigenen Kulturen als lebendige Träger von Wissen, Geschichte und Zukunft.
Salgados Werk war stets von einem ethischen Kompass getragen. Mit seiner Frau Lélia Wanick Salgado gründete er 1998 das Instituto Terra, das ein zerstörtes Stück atlantischen Regenwalds in Brasilien wiederaufforstete – über zwei Millionen Bäume wurden dort neu gepflanzt. Für sein Engagement erhielt er zahlreiche Auszeichnungen: den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels, den Praemium Imperiale, den spanischen Prinz-von-Asturien-Preis – und von der Deutschen Gesellschaft für Photographie (DGPh) den renommierten Dr.-Erich-Salomon-Preis.
Seine Biografie wurde selbst zum Werk: Wim Wenders und sein Sohn Juliano Ribeiro Salgado würdigten ihn im 2014 veröffentlichten Dokumentarfilm Das Salz der Erde, der für einen Oscar nominiert wurde.
In einer Zeit globaler Krisen und wachsender Gleichgültigkeit bleibt Salgados Vermächtnis ein Leuchtfeuer. Amazônia ist ein letztes großes Werk, das nicht nur zeigt, was zu verlieren ist – sondern auch, was es zu schützen gilt. Seine Fotografien werden bleiben, als Mahnung, als Inspiration, als Beweis für die Kraft des Sehens.
Sebastião Salgado: „Wenn wir in die Wälder gehen, sehen wir nicht die Anderen. Wir sehen uns selbst.“ –
Ausstellungsorte und Termine:
Brüssel – Tour & Taxis
Noch bis 11. November 2025
expo-amazonia.com
Köln – Rautenstrauch-Joest-Museum
29. Oktober 2025 – 15. März 2026
rautenstrauch-joest-museum.de